Wer taucht will Besonderes sehen. Seien es große Fische, bunte Korallen, glasklares Wasser oder verlorene Schiffswracks. Wer an Tauchen in Island denkt, dem kommen wahrscheinlich Eisberge in den Sinn und wer etwas Recherche betreibt stößt unweigerlich auf Silfra, eine Divesite die immer wieder ganz oben auf den Toplisten der weltweiten Tauchreviere auftaucht.
Wer dem Touristenpfad entkommt, kann im Norden Islands einen Ort finden der einmalig ist auf der Welt. Eine Divesite die ermöglicht, was man sonst nirgends auf diesem Planeten sehen kann. Ein Erlebnis, das einem den Atem stocken lässt, vollkommen egal wie oft der Tauchlehrer einem dies verboten hat…
Dort erheben sich hydrothermale Schlote vom Meeresboden in die Höhe, wo dann geothermal aufgeheiztes Wasser ausströmt. Der Tauchspot besteht aus zwei Kaminen, einem kleinen und einem großen. Der kleine Kamin – Arnarnesstrýtur – befindet sich etwas nördlicher und wird nach einer 4-5 minütigen Bootsfahrt erreicht. Der große Kamin – Strýtan – befindet sich etwas südlich der Tauchbasis und ist nach etwa 5-10 Minuten mit dem Boot erreicht.
Tauchen mit Stefania der Wolffish Dame
Arnarnesstrýtur ist unser erster Stop am heutigen Tag und führt uns etwas nördlich der Tauchbasis zu zwei kleinen Kaminen. An diesem Spot finden sich vielfältige Lebewesen der Unterwasserwelt wie Anemonen, Krabben, Quallen und natürlich auch jede Mensche Fische. Neben neugierigen Dorschen findet sich hier insbesondere Stefania, eine Steinbeißer- (Wolffish) Dame und ihre Mitbewohner. Die drei haben am Meeresboden eine WG für Hässliche gegründet, Steinbeißer haben ein Gesicht das nur eine Mutter lieben kann! Dafür sind sie alle sehr zutraulich und freuen sich jedes Mal wenn Erlendur am Seil der Boje entlang in Richtung Meeresboden sinkt. Dann hat er nämlich normalerweise eine Tasche voll Muscheln im Gepäck und Stefania und ihre Buddies essen gerne Muscheln. Heute haben wir keine dabei, alternativ gibt es also ein paar Streicheleinheiten unterm Kinn und am Bauch. Die drei verhalten sich wie Hunde und folgen uns auf Schritt und Tritt um den kleinen Hügel. Mehrmals während dem fast einstündigen Tauchgang werden Stefania & Co. überraschend auftauchen und uns anlächeln und jedes Mal ist es ein kleiner Schock 😉
In Arnarnesstrýtur hat sich um die kleinen Kamine eine Vielzahl von Meeresbewohnern niedergelassen und man fühlt sich offensichtlich sehr wohl in der Nachbarschaft um die hydrothermalen Hügel. Erlendur schwimmt langsam umher und versucht mit seiner neuen Kamera Videos zu sammeln während ich mir die Gegend auf eigene Faust anschaue. Am Anfang ist das relativ langweilig, weil es nicht wirklich viel zu sehen gibt, wenn man nicht weiß wo man suchen muss. Ab und zu bemerkt Erlendur wie ich umher irre, zupft an meiner Flosse und zeigt mir einen weiteren spannenden Punkt an den Kaminen. An einigen Orten strömt heißes Wasser direkt in die Umgebung und man kann den Thermo- und Heliocline deutlich sehen. Das Wasser sieht so ölig aus wie man sich einen Tauchgang in einer überdimensionalen Wanne mit Silikonöl vorstellen würde. Hinter dem Vorhang aus eiskaltem Salz- und kochend heißem Süßwasser erkenne ich Erlendur nur schemenhaft und selbst als er seine Lampe direkt auf micht richtet – im Normalfall vergleichbar mit einem Scheinwerfer bei Nacht – sehe ich nur die Umrisse eines kleinen Lichtzirkels.
Nach etwa 45 Minuten treten wir langsam die Heimreise an. Immer entlang der Ankerschnur in Richtung Boot. Bis zum Stop bei 5m. Mir ist zwischenzeitlich ordentlich kalt geworden, der Tauchcomputer hatte sich irgendwann auf 1°C eingependelt und diese Zahl für den Rest des Tauchgangs nicht mehr losgelassen. Selbst hier an der Oberfläche zeigt das Gerät gerade mal 2 oder 3 Grad an und meine Vorfreude auf das Surface-Intervall wird immer größer. Erlendur hat einen heißen Pool am Tauchcenter und es gibt Stullen mit Käse, Schinken und eine Tafel Ritter Sport.
Während der knappen Stunde Auszeit im Divecenter zeigt Erlendur mir das kleine Museum im oberen Stockwerk. Wir müssen über provisorisch aufgereihte Matratzen klettern, da dieser Tage eine Delegation französischer Kunststudenten hier einquartiert ist. Hier gibt es alles zu sehen, was Erlendur während der letzten Jahre beim Betauchen der Kamine gelernt, gefunden und erschaffen hat. Eine imposante Sammlung von Wissen, Artefakten und Skurrilem gibt einem einen ungefähren Eindruck von der Passion mit welcher der Sohn Bogas diesen Ort erkundet und beschützt. Hier liegen alte Teller aus der weiten Umgebung und weiteres Geschirr. Alte Messer und Bootsutensilien. Es finden sich abgebrochene Ecken der Kamine sowie Fischskellete und Muscheln. Zu allem hat er etwas zu berichten und hinter jedem Artefakt steckt ein kleines Erlebnis und alle zusammen bilden das große Abenteuer des Erlendur Bogason von der Entdeckung und Erforschung Strýtan’s.
Tauchen an den heißen Kaminen von Strýtan
Das ist auch unser nächster Halt: Strýtan. Hier, am größeren der zwei Kamine soll mir das Ausmaß dieser Naturwunder erst wirklich bewusst werden. Der Kamin erhebt sich 55m hoch vom 70m unter der Oberfläche liegenden Meeresboden nach oben. Wir starten in der Mitte des kleinen Berges und schwimmen langsam nach oben während wir den Kamin Meter für Meter erkunden. Als wir starten zeigt mein Tauchcomputer eine Tiefe von 35m an und eine Temperatur von 1°C. Das ist kein Tauchgang für Weicheier und das ist auch kein Tauchgang für Draufgänger. In solchen Settings werden keine Helden geboren sondern Idioten entlarvt. Ich atme vorsichtig und prüfe meinen Tauchcomputer regelmäßig. Wenn sich ein Atemzug einmal länger hinauszögert und ich dann mit einem Mal kräftig am Atemregler ziehe, fliegen kleine Eiskristalle in meinen Mund und machen mir schlagartig klar wie dünn die Grenze zwischen einem guten Tauchgang und einem daramatischen Aufstieg hier ist. Freeflow heißt der Feind, der dich im Zweifelsfall sofort zum Auftauchen zwingt und in diesem Moment kann ich mir nichts schlimmeres vorstellen als diesen Tauchgang auch nur eine Sekunde früher beenden zu müssen als unbedingt notwendig.
Wir tauchen relativ zügig auf eine Tiefe von etwa 30-25m hinauf und beginnen langsam um den riesigen Felsen zu kreisen. Hier kann sich ein Taucher gerade noch gut hinter dem Stein verstecken, nur einige Meter tiefer könnte man einen Kleinbus unbemerkt abstellen. Strýtan ist riesig und groß und gemein. Er brodelt an allen Ecken und spuckt einem kochend heißes Wasser entgegen. An Heißwasserquellen wie diesen könnte der Ursprung für alles Leben auf diesem Planeten gelegen haben. Wissenschaftler der Universität Brekeley haben herausgefunden, dass die biochemischen Prozesse hier Leben ohne das Vorhandensein von Sonnenlicht, also ohne Photosynthese ermöglichen.
Wissenschaftler der Universität von Akureyri helfen dabei die Schlote von Strýtan zu erforschen und haben u.a. herausgefunden, dass das Wasser welches hier bei einer Temperatur von mehr als 72°C ausströmt weit über 1000 Jahre alt ist. Die Smektittürme entstanden vor über 10.000 Jahren während der letzten Eiszeit aus Magnesiumsilikaten und wuchsen seitdem Stück für Stück in Richtung Oberfläche. An ihren Rändern leben heute hunderte von Lebensformen, von Anemonen über Krebse und Fische bis hin zu Algen und Mikrobakterien. Dieser Ort ist ein Wenig wie das Galapagos Archipel der Unterwasserwelt, ein submariner Regenwald.
Als wir am oberen Ende des mächtigen Kegel ankommen stoppen wir kurz und prüfen unsere Instrumente. Die Luft reicht genau für den geplanten Tauchgang und wir sinken langsam wieder hinunter. Wir zirkeln um die Spitze und an allen Ecken strömt uns aus kleinen oder größeren Öffnungen heißes Wasser entgegen. Während der Rest meines Körpers im Trockenanzug gut geschützt und kuschelig warm ist, sind mir die Warmwasserquellen für meine unterkühlten Hände in den Neoprenhandschuhen mehr als willkommen. Mann muss dem Wasser etwas Zeit geben in die Handschuhe einzudringen und dabei sehr vorsichtig sein, aber dann ist die Wärmequelle mehr als angenehm.
Am mittleren Zubringer-Seil angekommen, starten wir unseren Aufstieg und stoppen zwei Mal. Immer schaue ich mich um, ob sich vielleicht Wale zu uns gesellt haben, doch heute war Stefania der große Star auf unseren Tauchgängen und eine Diva teilt ihren Ruhm nunmal nicht. Als wir auftauchen, unsere Ausrüstung an Bord des kleinen Bootes heben und das Seil an der Boje entfernen reißen die Wolken weiträumig auf und wir fahren durch den mit Sonnenlicht durchfluteten Fjord in Richtung des kleinen Hafen von Hjalteyri. Ich bin dankbar für den windlosen Tag, für die gute Sicht dort unten und die Sonne hier oben. Für die Möglichkeit diesen besonderen Ort gesehen zu haben und für die Aussicht darauf weitere solche Orte sehen zu dürfen.
Erlendur Bogason ist der Entdecker der Kamine, Hauswart im Fjord… der Wächter der Türme. Durch seine kühle isländische Ausstrahlung ahnt man lange nicht, wie er empfindet. Die Begrüßung ist freundlich und zurückhaltend. Die Unterhaltung beginnt langsam und bleibt es lange Zeit. Während der gesamten Zeit vor dem ersten Tauchgang denke ich, ich habe hier einen typischen Einsiedler vor mir und hake eine lebendige Unterhaltung innerlich ab. Erst als wir nach dem ersten Tauchgang wieder im Boot sind und ich aufgeregt Frage, was das für ein Gefühl für ihn war diese Schlote zum ersten mal zu sehen und wie es war als er realisierte was er hier tatsächlich entdeckt hatte brechen alle Dämme. Er beginnt wie ein Wasserfall zu berichten und sein Englisch wird so zerbröckelt, dass ich gar nicht mehr hinhöre und nur noch das Funkeln in seinen Augen interpretiere. Dieser Mann ist ein Entdecker und er lebt für Momente wie diese.
Fakten zu Strýtan
- Die Kegel entstanden vor gut 10.000 Jahren während der letzten großen Eiszeit
- Der große Kegel hat eine Höhe von ca. 55m und fußt auf dem Meeresboden in einer Tiefe von etwa 70m
- Das Wasser welches aus den Öffnungen austritt hat ca. 72°C und ist über 1100 Jahre alt
- Strýtan ist die einzige hydrothermale Quelle dieser Art, die von Menschen ohne Maschinen betaucht werden kann, andere Quellen wurden nur in Tiefen von 2000 bis 6000m gefunden
- Hydrothermale Schlote wie die in Strýtan könnten die Quelle allen Lebens auf dieser Erde sein, da sich an diesen Leben in Abwesenheit von Sonnenlicht entwickeln kann
- Die Existenz der Kamine wurde schon vor vielen Jahren angenommen, eine Expedition im Fjord ergab aber keine Ergebnisse und so wurden sie von den offiziellen Karten wieder entfernt. Erlendur fand die Kamine wenige Jahre später nach einem Hinweis von einem lokalen Fischer
- Manchmal nimmt Erlendur eine Thermoskanne mit hinunter um sie mit heißem Wasser aus den Kaminen zu befüllen und oben im Boot heiße Schokolade zu zaubern